Katzenjammer

Marion Minks

Mich an diesem Abend zum Essen einzuladen, war sicher die dümmste Idee, die Corinna je gehabt hatte. Dennoch passte es zu ihr, da ihr bescheidener Verstand lediglich von ihrem Mangel an Takt übertroffen wird.

Ich sehe ihr geradewegs in die Augen. Der boshafte Ausdruck, mit dem sie mich schon den ganzen Abend über beobachtet hatte, war gänzlich einem bodenlosen Entsetzen gewichen, so als wollte sie sagen: Wie konnte mir das nur passieren?

Als sie anfängt zu würgen, schließe ich schnell die Badezimmertür und gehe in die Küche hinunter. Dort ziehe ich mit meinem Fuß die Schranktür unter der Spüle auf und entdecke sofort, wonach ich suche. Vorsichtig hole ich mir die original verpackten Gummihandschuhe heraus, reiße die Folie ab, und stecke das knisternde Plastik in meine Hosentasche. Mit rosafarbenem Latex an den Händen räume ich nun meinen Teller und mein Glas vom Tisch, und beginne zu spülen.

Sorgfältig beseitige ich mit dem Spülschwamm alle Spuren, die ich auf dem Geschirr und dem Tisch hinterlassen habe, und denke wehmütig an die Zeit zurück, als Oma Hertha noch in diesem Haus gewohnt hatte.

Oma Hertha war eine liebenswürdige alte Dame und die angenehmste Nachbarin gewesen, die ich mir nur vorstellen konnte. Ich vermisse sie jetzt mehr denn je.

 

Nachdem ich das Haus neben ihrem gekauft hatte, hatten wir schnell herausgefunden, dass wir beide das gleiche Hobby, nämlich die Vogelkunde, teilten. Ich hatte ihr einige hübsche Nistkästen geschenkt, die längst nicht mehr an ihren angestammten Plätzen hängen. Oma Herthas größte Freude war jedoch immer das Futterhaus gewesen, das wir in dem Blumenbeet zwischen unseren Gärten aufgestellt hatten. Da wir beide alleinstehend waren, hatten wir uns oft zum Kaffee getroffen, um unsere gefiederten Freunde mal von ihrem Wohnzimmerfenster aus, mal von meinem zu beobachten.

Als das Alter ihr zuzusetzen begann, hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, einmal am Tag bei ihr nach dem Rechten zu sehen. Und obwohl damit zu rechnen war, hatte es mich tief getroffen, sie eines Abends tot in ihrem Bett zu finden.

Zwei Monate nachdem Herthas Angehörige ihr Haus verkauft hatten, waren die neuen Nachbarn eingezogen.

Corinna, ihr Mann Gottfried, ihre pummelige Tochter Marilyn und Kater Franco, den mir Corinna als erstes und, so erweckte es bei mir den Eindruck, wichtigstes Familienmitglied vorstellte. Dass sie von mir entzückte Begeisterung für diesen mürrisch dreinblickenden Kater erwartete, ignorierte ich. Statt dessen fragte ich im Scherz, ob sie das Tier etwa nach dem spanischen General benannt habe. Der Ausdruck dumpfen Unverständnisses auf ihrem Gesicht ließ mich schon damals ahnen, dass diese Familie ihre Bildung ausnahmslos aus den Kanälen des Privatfernsehens bezieht. Aber das ging mich ja nichts an.

Mit der Ruhe war es fortan leider vorbei. Nicht, dass Marilyn je mit Freunden im Garten gespielt hätte. Spielende Kinder haben mich noch nie gestört, im Gegensatz zu Corinnas plärrendem Radio, mit dem sie die Nachbarschaft geißelte, sobald sie sich draußen aufhielt.

An jedem schönen Tag lag Corinna auf der Terrasse, während die kleine Marilyn, kaum dass sie aus der Schule kam, mit einer Tüte Chips loszog, um ihre Mutter nicht beim Sonnenbad zu stören.

Ich ertrug die unsäglichen Schlager, die Corinna dabei hörte, und freute mich über jeden kalten und regnerischen Tag im Jahr. Ebenso wenig beschwerte ich mich über den Katzenkot zwischen meinen Blumen, sondern riss tapfer die Katzenminze aus meinen Beeten.

Als die Familie um zwei weitere Mitglieder, die Katzen Shakira und Orlando, wuchs, und deswegen meine Rotschwänzchen und der niedliche kleine Zaunkönig meinen Garten für immer verließen, hatte ich genug: Ich zerschnitt das breite Blumenbeet, das ich noch mit Oma Hertha zwischen unseren Gärten angelegt hatte, mit einem Kaninchendraht und pflanzte eine Hecke davor.

Zuerst wunderte ich mich , dass der Katzenkot nicht weniger wurde. Eines Abends jedoch, es dämmerte bereits, beobachtete ich Corinna, wie sie mit einer Zange Löcher in den Drahtzaun schnitt. Ich flickte die immer neu entstehenden Löcher und katapultierte fortan jeden Katzenhaufen, den ich in meinem Garten fand, über die Hecke, geradewegs auf Corinnas gepflegten englischen Rasen, über den sie so gerne barfuß ging.

So hatten wir die ersten Jahre nebeneinander hergelebt: Wir wahrten den Anstand und grüßten uns höflich, wann immer wir uns begegneten. Bis die Sache mit Franco passierte.

Es lag nicht an mir, dass dieser lächerliche Streit vom Zaun brach, und Corinna mir ihre Freundschaft aufkündigte, wobei ich immer darauf bestanden habe, dass wir lediglich Nachbarn sind.

Ursache des Konfliktes war Rowdy gewesen, der quirlige kleine Terrier unseres Nachbarn Manfred. Rowdy gehört zu den Hunden, die fröhlich kläffend allem und jedem hinterherjagen, sobald sie sich langweilen.

 

Ich erinnere mich, dass Manfred damals gerade vom gassigehen gekommen war, und mit unserem Postboten und mir ein Pläuschchen auf der Straße hielt. An diesem Tag war es kein Ball, der Rowdys Spieltrieb reizte, sondern der mittlerweile vierzehnjährige Franco, der auf der Straße hockte und den kleinen Hund übellaunig anstarrte. Als der Terrier auf ihn zuschoss, sprang der Kater fauchend auf und setzte zu einem Sprung über die Gartenmauer an, seinem letzten, wohlgemerkt.

Das erbärmliche Schreien des Katers, das selbst Corinnas Schlagermusik übertönt hatte, weckte wahre Mutterinstinkte in seiner Besitzerin. Unter Weinen und Wehklagen hob sie das verletzte Tier auf und legte es in ihren Wagen, um sich auf den Weg in die Tierambulanz zu machen.

Als Marilyn aus der Schule kam und vor verschlossener Türe stand, bat ich sie selbstverständlich herein und teilte mein Mittagessen mit ihr. Ich brachte das Mädchen gegen Abend nach Hause und war überrascht, dass Corinna ihre Tochter noch nicht einmal vermisst hatte. Statt sich für meine Hilfe zu bedanken, brach sie in wüste Schimpftiraden gegen Manfred und seinen Hund los. Franco lag in der Tierklinik und sollte am kommenden Tag operiert werden, da seine Sehnen an beiden Hinterbeinen gerissen waren.

Ich fragte, ob es allein aufgrund seines hohen Alters nicht gnädiger sei, das Tier einschläfern zu lassen.

Empört erklärte mir Corinna, dass Franco ein vollwertiges Familienmitglied sei, für das sie jedes Opfer brächte. Was bedeuteten da schon ein paar tausend Euro? Schließlich würde sie für ihre Tochter das gleiche tun.

Ich bezweifelte jedoch im Stillen, dass sie Marilyn genauso liebte, wie ihre Katzen.

Das Tier starb gleich nach der Operation, und da ich es offenbar an ausreichenden Mitleidsbekundungen fehlen ließ, bezichtigte Corinna mich, eine Katzenhasserin zu sein.

 

Das ist natürlich Unsinn. Ich hasse Katzen nicht, ich mache mir nur nichts aus ihnen, obwohl ich alleinstehend und kinderlos bin. Die Mühe, Corinna über diesen Unterschied aufzuklären, sparte ich mir, was zur Folge hatte, dass Corinna mich mit Nichtachtung strafte und sich Monate lang albern vor mir versteckte, um meinen Gruß nicht erwidern zu müssen.

Einige Jahre vergingen, die Hecke zwischen unseren Gärten wurde dichter und die Katzenhaufen in meinem Blumenbeet weniger. Gottfried verließ Corinna, und nahm die mittlerweile hochgradig adipöse Marilyn mit.

Ich war durchaus zufrieden mit der stillen Übereinkunft, sich aus dem Weg zu gehen, und hätte ich es in der Hand gehabt, hätte sich an diesem Zustand bis heute nichts geändert.

 

Statt dessen stehe ich nun in Corinnas Küche um die Spuren meiner Anwesenheit zu beseitigen, während die Katze Shakira um meine Beine streicht.

Gerade zwei Wochen ist es her, dass Corinna ihr Schweigen mir gegenüber brach. Mit zusammengekniffenem Mund stand sie vor meiner Tür, die Hände in die üppig gewordenen Hüften gestemmt. Sie beschuldigte mich allen Ernstes, Rattengift in ihren Vorgarten gelegt zu haben, um ihre Katzen zu vergiften.

Die Dreistigkeit, mit der sie ihre Anschuldigungen vorbrachte und mir mit einer Anzeige drohte, ließen mich sprachlos an meiner eigenen Haustür stehen. Nach diesem unerquicklichen Vorfall schlief ich mehrere Nächte lang so schlecht, dass es mir ein Bedürfnis war, mit Corinna ein klärendes Gespräch zu führen.

Natürlich war es nie meine Absicht gewesen, mit dem Streit gleich auch dessen Urheberin aus der Welt zu schaffen. Ich frage mich aber, wer mir nach dem heutigen Abend Glauben schenken würde.

 

Einige Tage später suchte ich Corinna auf, um ihr zu versichern, dass ich weder Rattengift im Haus hatte, noch die Absicht hegte, ihre Katzen umzubringen. Da öffnete sie mir mit rot geweinten Augen die Tür und flüsterte: Zu spät. Orlando ist tot.

In diesem Moment tat sie mir zum ersten Mal wirklich leid. Ich bot ihr meinen Trost an, doch sie schüttelte nur den Kopf und schloss die Tür.

Ihre Einladung zu einem Versöhnungsabendessen, die sie gestern aussprach, wunderte mich, denn ich war überzeugt, dass sie mich noch immer für die Mörderin ihres Katers hielt. Dennoch willigte ich ein.

Noch einmal betrachte ich Orlandos Foto mit dem Trauerflor, bevor ich Shakira nach oben folge.

 

Der freundliche Plauderton, den Corinna anschlug, kaum dass ich in ihrer Küche saß, passte so gar nicht zu dem Blick, mit dem sie mich musterte. Dann wandte sie mir den Rücken zu, während sie uns umständlicher als nötig den Doseneintopf auftrug. Erst als sie unsere Teller auf dem Tisch abstellte traf mich die Erkenntnis wie der Blitz. Vor Schreck ließ ich mein Glas fallen und als Corinna sich nach den Scherben bückte, vertauschte ich die Teller.

Das Gift wirkte schnell. Corinna wurde weiß wie ein Laken und begann zu zittern. Ich half ihr ins Badezimmer, wo sie neben der Wanne auf den Boden sank.

Sofort zückte ich mein Mobiltelefon, um den Notarzt zu rufen.

Doch plötzlich dachte ich, um wieviel einfacher das Leben ohne Corinna wäre. Für mich, aber auch für die arme Marilyn und ihren Vater, der, so habe ich heute erfahren, die Kosten für dieses Haus trägt und selber zusammen mit seiner Tochter vom Existenzminimum leben muss.

 

Shakira miaut leise, und ich öffne die Badezimmertür.

Corinnas Blick wirkt gläsern. Ich ziehe einen Gummihandschuh aus, um ihren Puls zu fühlen. Nichts. Ein mit Suppe vermischter Speichelfaden hängt unappetitlich an ihrem Kinn. Die Katze schnuppert beiläufig an ihrer Besitzerin und reibt noch einmal den Kopf an meiner Wade bevor sie das Bad wieder verlässt. Schnell beseitige ich noch die letzten meiner Fingerabdrücke.

In mir regt sich weder Schadenfreude, noch Genugtuung, als ich Corinnas Tür hinter mir zuziehe.

Erleichtert atme ich auf. Gleich morgen werde ich das alte Futterhaus aus meinem Keller holen.